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May 23, 2019
5
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Dr. Kai Hudetz
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Category:
Experten-Lounge

Zwischen stationärem Shop und Amazon: Den Kundenzugang niemals aus den Augen verlieren

Dr. Kai Hudetz forscht seit Jahren rund um den Handel. Seit 2009 ist der Experte Geschäftsführer des Instituts für Handelsforschung (IFH) in Köln. Im MM-Gastbeitrag beleuchtet er aktuelle Entwicklungen im Ecommerce und analysiert die Vormachtstellung von Amazon. 

Gastbeitrag von Dr. Kai Hudetz. Seit 22 Jahren forsche ich zu Handelsfragen und berate Händler und Hersteller. Im Jahr 1999 habe ich am IFH das damalige ECC Handel, jetzige ECC Köln gegründet, das sich ganz auf den Handel im Digitalen Zeitalter fokussiert. Seit 2009 bin ich Geschäftsführer des Gesamthauses und immer noch mit großer Leidenschaft für erfolgreichen Handel unterwegs.  
Kaum eine aktuelle Entwicklung ist so dynamisch und so komplex wie der Ecommerce. Da fällt es naturgemäß schwer, nachhaltige Entwicklungen von kurzfristigen Trends zu unterscheiden, Buzzwords von Erfolgsfaktoren.

Portraitfotografie von Dr. Kai Hudetz (Geschäftsführer der IFH Köln)
Geschäftsführer der IFH Köln Dr. Kai Hudetz im MM-Gespräch

Aus meiner Sicht sind nicht nur in Deutschland drei Entwicklungen von zentraler Relevanz:

1. Mobile Nutzung

Das Smartphone ist DER zentrale Kontaktpunkt zum Konsumenten, 24/7. Wir nutzen es im Bett, auf dem Sofa, in der S-Bahn, im Restaurant, im Ladengeschäft. Wer das Smartphone seiner Kundengruppen nicht adäquat besetzt, verliert perspektivisch den Kundenzugang. Wir stellen in unseren Studien auch ganz eindeutig fest, dass sich das Smartphone von einem Informationsmedium zunehmend zu einem Transaktionsmedium mit enormer Businessrelevanz entwickelt. So basiert der Erfolg von AboutYou auf einem konsequenten Mobile-Only-Ansatz.

2. Auf Amazon setzen

Der Netzwerkeffekt fördert Konzentrationsprozesse im Internet. Die großen Plattformen wie eBay, vor allem aber auch Amazon, regeln zunehmend den Kundenzugang. In Deutschland entfällt fast die Hälfte des B2C-Onlineumsatzes auf Amazon, wobei gerade der Marketplace weit überproportional wächst. Auch große Markenhersteller nutzen diese Plattform zunehmend, um direkt an den Endkunden zu vertreiben. Für Zwischenhändler kann Amazon kurzfristig durchaus einen starken Vertriebskanal darstellen, mittelfristig muss sich jeder Zwischenhändler aber die Frage stellen, welchen Mehrwert er innerhalb des Wertschöpfungsnetzwerkes bietet, damit er perspektivisch nicht ausgeschaltet wird. Für den stationären Handel stellt Amazon mit der enormen Sortimentsbreite und –tiefe sowie dem kundenzentrierten Service eine große Herausforderung dar. Vielfach sind neue Konzepte und große Anstrengungen erforderlich, um sich gegen diese Konkurrenz zu behaupten. Amazon hat sich bereits tief in der Customer Journey vieler Konsumenten verankert und ist daher Vergleichsmaßstab für den stationären Handel, ob er will oder nicht.

Diagramm zu Amazon dominiert den Onlinehandel in den Jahren 2010 bis 2017.  Der Amazon.de inkl. Marketplace Umsatz steigt auf 26,4 Mrd. Euro. Der Otto.de Umsatz steigt auf 3,5 Mrd. Euro. Der eBay Powerseller Umsatz auf 3,4 Mrd. Euro und der zalando.de Umsatz auf 1,5 Mrd. Euro. Angabe in Umsätzen zu Endverbraucherpreisen in Mrd. Euro.
Amazon dominiert den Onlinehandel

3. Sprachsteuerung im Alltag

In rasanter Geschwindigkeit hält Sprachsteuerung Einzug in unseren Alltag, von Smart Home bis Voice Commerce. Wieder war es Amazon, das mit Alexa frühzeitig den Markt besetzte. Fast die Hälfte aller Automobilhersteller arbeiten schon mit Alexa, der Smart Home-Markt entwickelt gerade rasant neue Lösungen. Gleichzeitig gilt: Wer die Plattform betreibt, regelt den Kundenzugang. Es verwundert nicht, dass Amazon bei Bestellungen über Alexa die eigene Hausmarke bevorzugt an den Kunden bringt. Google versucht mit erheblichen Anstrengungen und dem Google Home hier entgegenzusteuern. Da Sprachsteuerung bei einem entsprechenden Reifegrad – aktuell ist dieser im Bereich Voice Commerce noch nicht ausreichend vorhanden – enorme Bequemlichkeitsvorteile mit sich bringt, scheint der weitere Siegeszug klar vorhersehbar, mit enormen Herausforderungen für Handel und Industrie, den Zugang zum Endkunden auch über diesen Kanal nicht zu verlieren.  

Shopping per Sprachsteuerung ist noch eine recht kleine Nische. Insgesamt steigt die Nutzung jedoch rapide an.

Die dramatischen Veränderungen, die wir durch die Digitalisierung in der Handelslandschaft sehen, spiegeln sich in vielen anderen Branchen wieder. Viel wurde bereits über das disruptive Potenzial von Uber für die Transportbranche und Airbnb für das Hotelgewerbe geschrieben. Vermittlungsportale haben hier wie dort die Customer Journey und damit den Kundenzugang radikal verändert. Aber für Versicherungen oder auch Banken verändert sich das Wettbewerbsumfeld dramatisch, wie die Aufnahme der Wirecard-AG in den DAX sichtbar aufzeigt. Überall sind Märkte im Umbruch, es gilt Geschäftsmodelle (weiter) zu entwickeln, die ihren Kunden durch die Digitalisierung einen echten Mehrwert bieten – egal ob im Handel oder der Bankenwelt.

Gerade im Handel ist es dabei wichtig zu erkennen, wo die USPs für das eigene Geschäftsmodell liegen und diese in den Mittelpunkt zu stellen. Kundenzufriedenheit zum Beispiel wird auch mit pünktlichen, verlässlichen Lieferzeiten und Warenverfügbarkeit in Einklang mit einem strategisch zusammengestellten Produktportfolio erreicht. Kundenzentrierung, Geschwindigkeit und Agilität sind dabei die entscheidenden Erfolgsfaktoren.  

Anmerkung der Redaktion: Gastartikel und Interviewantworten spiegeln nicht unbedingt die Meinung des Merchant-Magzines wieder. Sie sind Basis für einen gegenseitigen Austausch rund um die vielfältige Welt von Amazonhandel und Ecommerce.

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